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Prof. Burger über Mobilität der Zukunft ohne fossile Energie

Interview von Anna Rieser, erschienen in der Mediengruppen Attenkofer am 30.07.2022

Aus Wasser, CO2 und Strom Kraftstoff herstellen – am TUM Campus Straubing gibt es die europaweit erste Demonstrationsanlage, in der das kontinuierlich gelingt. Sie produziert den Diesel-Ersatzkraftstoff Oxymethylenether (OME). Was er kann, wo seine Grenzen liegen und wie der Verkehr der Zukunft aussehen könnte, erklärt Prof. Jakob Burger, der diese Anlage errichtet hat.

Herr Prof. Burger, Sie haben am TUM-Campus einen synthetischen Kraftstoff-Ersatz für Dieselmotoren entwickelt. Was sind seine Vorteile und wo kann er eingesetzt werden?

Prof. Dr.-Ing. Jakob Burger steht vor seiner neu errichteten Demonstrationsanlage am TUM Campus Straubing

Prof. Dr.-Ing. Jakob Burger, Leiter der Professur für Chemische und Thermische Verfahrenstechnik, steht vor seiner OME-Demonstrationsanlage am TUM Campus Straubing für Biotechnologie und Nachhaltigkeit. (Foto: Jan Winter/TUM)

Prof. Jakob Burger: Auf Anwenderseite können wir drei verschiedene Typen von erneuerbaren Kraftstoffen unterschieden, die drei unterschiedliche Ziele adressieren. Das sind einmal Imitatkraftstoffe mit hoher Flottenkompatibilität, die in ihrer Zusammensetzung und ihren Eigenschaften möglichst nahe an die fossilen Kraftstoffe herankommen. Beispiele sind pflanzenölbasierte Kraftstoffe wie Biodiesel. Dann gibt es kohlenstofffreie Kraftstoffe wie Wasserstoff oder Ammoniak, welche ohne Kohlenstoffquelle bei der Synthese auskommen. Dies ist zukünftig vorteilhaft, da die Kohlenstoffmaterialströme einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft massiv gegenüber dem heutigen Niveau sinken müssen. Nachteile sind geringere Energiedichten verglichen mit den flüssigen kohlenstoffhaltigen Kraftstoffen.

Der dritte Typ sind sauerstoffenthaltende Kraftstoffe, die deutlich sauberer verbrennen als Erdölkraftstoffe. Beispiele dafür sind Methanol, Ethanol und Oxymethylenether, kurz OME. Letztere sind Dieselkraftstoffe, die wir in Straubing in Europas erster kontinuierlichen Demonstrationsanlage seit diesem Jahr im Tonnenmaßstab herstellen. Diese optimierten Kraftstoffe sind zwar umweltfreundlich, sie produzieren weniger Ruß und weniger Stickoxide, sie sind aber als Reinstoffe zumeist nicht flottenkompatibel. Dies bedeutet Änderungen an den Fahrzeugen, was nur bei Motor-Neuentwicklung oder Flotten mit separater Tankinfrastruktur ökonomisch Sinn macht.

Wann gibt es eine industrielle OME-Produktion?

Burger: Eine holländische Firma hat angekündigt, 2025 OME industriell im Maßstab von acht Millionen Liter pro Jahr zu produzieren. Die Anlage setzt genau auf unsere Innovationen auf. Ohne unsere jahrelange Hartnäckigkeit und vorindustrielle Entwicklung würde ein entsprechendes Projekt sicher länger dauern. Als Zielanwender hat die Firma die Fischer von Hollands Küste identifiziert. Diese können dann vielleicht bald mit nachhaltigem Kraftstoff und sauberem Abgas ihre Flotte betreiben.

Politik und Automobil-Wirtschaft setzen beim Fahrzeug-Antrieb hauptsächlich auf Strom. Sind synthetische Kraftstoffe dann nicht überflüssig?

Burger: Ihre Frage ist nicht präzise und in dieser pauschalen Form nicht korrekt. Vielleicht trifft dies auf neuzugelassene Pkw zu. Davon abgesehen gibt es einige Argumente für erneuerbare Kraftstoffe, die sie zu einem unverzichtbaren Teil zukünftiger Mobilität machen. Da ist einmal der Weiterbetrieb der Bestandsflotten. Es ist zum Beispiel nicht nachhaltig, von heute auf morgen alle bereits hergestellten Verbrenner zu verschrotten und auf E-Autos umzustellen. Hier haben wir tatsächlich gesellschaftspolitischen Spielraum, wie lange wir immer neue ineffiziente Verbrenner-Pkw auf den Markt bringen, die dieses Problem verschleppen. Zweitens gibt es Anwendungen, die schlicht aus technischen Gründen nicht elektrifiziert werden können – allen voran Flugzeuge und Schiffe, die interkontinental verkehren. Diese werden auch nach 2040 noch Kraftstoffe brauchen, die dann hoffentlich erneuerbar sind.

Der dritte Grund ist geopolitischer Natur. Wir sind in Deutschland bei unserer Energieversorgung zu etwa zwei Drittel abhängig von Import. Kraftstoffe lassen sich deutlicher leichter transportieren als Strom. Wir können auch bestehende weltweite Infrastruktur zurückgreifen und Energie weltweit aus geografisch begünstigten Regionen mit hoher Ausbeute an erneuerbarer Energie in Form von Kraftstoffen importieren, zum Beispiel aus Nordafrika, Mittlerer Osten, Kasachstan, Chile, Spanien. Häufig wird zudem diskutiert, dass die erneuerbare Stromproduktion schwankt und dass wir deshalb Überkapazitäten aufbauen müssen, um im Schnitt unseren Bedarf sicherzustellen. Saisonale Energiespeicher, die Energie aus dem Sommer für den Winter speichern sind ein ungelöstes technisches Problem. Kraftstoffproduktion ist eine Möglichkeit der Energiespeicherung in gut lagerfähigen chemischen Speichern – den Kraftstoffen selbst.

Wissenschaft und Industrie diskutieren derzeit nur über die Problematiken der Bestandsflotten und der Stromspeicher, da diese noch nicht geklärt sind. In der Öffentlichkeit entsteht daher der Eindruck, dass erneuerbare Kraftstoffe noch diskutabel sind. Wie eben erwähnt, gibt es aber technische Anwendungen, wo sie gebraucht werden. Ich würde mich freuen, wenn die Politik dies auch so darstellt und sich nicht im Klein-Klein streitet. Wenn wir als Gesellschaft und Politik wirklich etwas bewegen wollen, dann müssen wir uns ehrlich unsere Sucht nach billigen fossilen Kraftstoffen eingestehen und diese durch Regeln aus dem Markt drängen. Aktuell gibt es keine zwingenden Gesetze, die dort angreifen. Wenn es diese irgendwann endlich gibt, werden wir alle Optionen brauchen, die wir haben. Und die Kraftstoffe werden sicher ihre Rolle beitragen. Um dies klarzustellen: Wir müssen auf nichts mehr warten. Wir können die Gesetze jetzt verabschieden und den Wandel angehen. Wir sind technologisch bereit und müssen uns nur trauen.

Wie sieht der Verkehr der Zukunft aus? Mit welcher Energie sollen die Motoren angetrieben werden?

Burger: Wenn wir uns tatsächlich irgendwann der echten Treibhausgasneutralität verpflichten und die fossile Sucht überwinden, dann stelle ich mir den Verkehr der Zukunft ungefähr so vor: Zunächst mal werden wir unsere Mobilität deutlich verringern. Auch werden wir durch saisonale und lokale Nahrungsmittelversorgung und lokale Wertschöpfungsketten den Warenverkehr stark reduzieren können. Dies wird letztlich der Markt regeln, da Energie knapp bleibt. Flugreisen werden wieder etwas Besonderes werden, was der Durchschnitt vielleicht einmal im Leben macht. Vielleicht müssen wir uns in etwa auf das Mobilitätsverhalten vor ein bis zwei Generationen besinnen. Kleingeräte und Autos werden überwiegend batterieelektrisch angetrieben. Der elektrifizierte Zugverkehr ist ausgebaut worden und boomt. Anwendungen, die keine Oberleitung haben und große Reichweiten brauchen, also zum Beispiel Teile der Bus- und Lkw-Flotte, wird man auf Wasserstoff und Biogas umgerüstet haben. Flugzeuge und Schiffe ähneln stark den heutigen. Sie tanken flüssige, erneuerbare Kraftstoffe, die überwiegend im geografisch begünstigten Sonnengürtel hergestellt und weltweit gehandelt werden. Deutschland wird diese auch in Zukunft noch zu großen Teilen importieren.

Die Zeiten von im Prinzip kostenlosen Containertransporten rund um die Welt und 20-Euro-Flügen werden vorbei sein. Mindestens bis 2045 werden wir zudem flüssige, erneuerbare Kraftstoffe für unsere Bestandsverbrennungsmotoren im Pkw- und Lkw-Bereich haben. Ich möchte betonen, dass dieses Szenario keineswegs düster ist. Ich bin überzeugt, dass es auch mit einem Gewinn an Lebensqualität verbunden ist. Die Hoffnung auf Entschleunigung und gesünderen, bewussteren Konsum ist berechtigt.